„Ich bin dann weggezogen, gleich am nächsten Tag“
Offensichtlich angespornt von den belasteten Aussagen des Angeklagten Schulz – die inzwischen durch die Vernehmung einer Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Dresden in der letzten Woche eingeführt sind – und den Hafterleichterungen des bereits geständigen Mitangeklagten Justin S., kündigte heute der Angeklagte Patrick Festing an, sich ebenfalls einlassen zu wollen. Er wollte das am heutigen 13. Hauptverhandlungstag tun, was das Gericht auf Grund der bereits geladenen und angereisten Zeugen nicht akzeptierte. Daher wird der Angeklagten Festing, dem es natürlich lediglich darum geht, vor den Beamten zu Wort zu kommen, die seine polizeiliche Vernehmung durchgeführt haben, nun ab morgen Mittag eine Einlassung abgeben. Zu was er genau aussagen möchte, teilte Festing nicht mit. Einzig, dass er keine Fragen der Nebenklage und der Bundesanwaltschaft beantworten wird, machte er heute schon unmissverständlich klar.
Es ist anzunehmen, dass die Aussage des Mitangeklagten Schulz vor Beamten des OAZ, der den Angeklagten Festing erheblich belastet, Grund für den plötzlichen Sinneswandel sein dürfte. Es bleibt abzuwarten, ob Festing morgen den Aussagen von Schulz widersprechen wird um sich selbst zu entlasten oder andere Angeklagte zu belasten. Mehr und mehr bröckelt die Einheit der Angeklagten. Es wird immer deutlicher, dass die einzelnen Angeklagten mit Fortschreiten der Beweisaufnahme ein Interesse an der eigenen Entlastung haben, sollte dies auch heißen, die anderen Angeklagten zu belasten.
Neben Polizeibeamten, die zum Tatort des Anschlags in der Bahnhofstraße in Freital gerufen worden sind, und dort eine sehr oberflächliche Spurensicherung vorgenommen haben, wurde auch ein Nachbar vernommen, der nach dem Anschlag den Notruf abgesetzt hatte. Der überwiegende Teil seiner Aussage handelte nicht etwa von dem Anschlag zu dem er als Zeuge geladen wurde, sondern von den vermeintlichen Problemen die seine Nachbarn aus Eritrea ihm machten. Jedes Ressentiment eines „besorgten Bürgers“ – angefangen von den empfangenen staatlichen Leistungen bis hin zu den Kochgerüchen aus der Wohnung der Geschädigten – redete sich der Zeuge von der Seele, sich nun endlich in der Position wähnend, dass er gehört werden würde. Mit der Ermahnung, sich auf das Beweisthema zu konzentrieren, versuchte das Gericht, den Zeugen in seinen Tiraden zu stoppen. Nichts desto trotz, war dieser Zeuge ein Sinnbild für die Stimmung, die die Geschädigten des Anschlags in der Bahnhofstraße in Freital vorgefunden haben. Zu keinem Zeitpunkt konnte sich der Zeuge auch nur ansatzweise so etwas wie Empathie oder Mitgefühl für die Geschädigten des Anschlags abringen. Mit Einzug der Geflüchteten aus Eritrea sei ihm schon klar gewesen, dass es irgendwann „mal plauzen“ würde. Das wäre nach Ansicht des Zeugen natürlich alles nicht passiert, wenn sein Vermieter die freie Wohnung nicht an die Geflüchteten aus Eritrea vermietet hätte.
Schließlich wurden heute noch zwei Geschädigte des Anschlags auf die Wohnung der eritreischen Geflüchteten in Freital vernommen. In der Nacht des 20.09.2015 wurde am Küchenfenster der Wohnung ein Sprengsatz angebracht, der die Scheibe zum Bersten brachten und Glassplitter in der Wohnung verteilte. Ein Bewohner schilderte, dass ein Splitter sogar in die Wand oberhalb der dem Fenster gegenüberliegenden Tür eingeschlagen sei. Keiner der beiden Zeugen wohnt heute noch in der Wohnung. Einer habe bereits am Tag nach der Anerkennung seines Flüchtlingsstatutes Sachsen verlassen. Beide Zeugen berichteten, dass sie das Gefühl gehabt hätten, dass sie in Freital nicht willkommen gewesen seien. Neben Beleidigungen und Hup-Konzerten vor der Wohnung hatte man ihnen bereits vor dem Anschlag Pfefferspray in die Wohnung gesprüht, Fahrräder sind verschwunden und ein Böller wurde durch ein geöffnetes Fenster geworfen.
Die Verteidigung des Angeklagten Seidel ließ es sich nicht nehmen am Ende der Vernehmung eines Geschädigten allen Prozessbeteiligten ein Lehrstück in sekundärer Viktimisierung und dem Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr zu präsentieren. Nachdem der Versuch scheiterte, den Anschlag als die Eskalation eines Streits der Wohngemeinschaft der Geschädigten mit „arabisch Sprechenden“ darzustellen, ließ es sich Verteidiger Kohlmann nicht nehmen, den Zeugen zu fragen, ob er oder seine Mitbewohner mit Drogen dealen bzw. Stehlen würden. Trotz der Beanstandung dieser Fragen durch Nebenklage und Bundesanwaltschaft als fernliegend und nicht zur Sache gehörend, ließ das Gericht die Frage zu. Zur Begründung führte das Gericht an, dass andere Zeugen Verdachtsmomente gegen die Geschädigten geäußert hätten. Enttäuschend, dass ein Oberlandesgericht sich durch das klischee-getragene Geschwätz von sächsischen Wutbürgern in dieser Art beeindruckend lässt, und Geschädigte eines derartigen Anschlags dazu zwingt, solch peinlichen Fragen beantworten zu müssen, anstatt sie als das abzutun, was sie sind: rassistischer Unfug.