28.06.2017

Antrag der Nebenklage: Angriff auf Wohnprojekt Overbeckstraße war versuchter Mord

Am heutigen Tag wurde zunächst die Vernehmung des Polizeibeamten von gestern beendet. Es wurde nochmals deutlich, dass die Datenträger und Handys lediglich sehr schematisch nach den Kriterien durchsucht wurden, die am Anfang der Ermittlungen der StA Dresden eine Rolle spielten: Sprengsätze, Pyrotechnik und ähnliches. Ideologie, Rassismus und NS-Verherrlichung spielten keine oder nur untergeordnete Rollen bei den Ermittlungen. Obwohl es im Laufe der Ermittlungen mehrere Zäsuren gab, insbesondere als aus Sicht der Polizei ein Organisationsdelikt, also die Aktivität einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung ins Zentrum des Interesses rückte, wurden die Datenträger nicht in Hinblick auf diese Ermittlungsrichtung neu untersucht.

Die Nebenklage fasste den Umgang der Polizei mit Datenträgern abschließend zusammen und kritisierte erneut, anhand des USB-Sticks, auf dem Anleitungen zum Bau von Rohrbomben gefunden wurden, dass diese Untersuchungen völlig unzureichend abgelaufen sind. Die Nebenklage regte daher an, alle Datenträger als originalgetreue Kopie an die Verfahrensbeteiligten herauszugeben, damit diese eigene Recherchen vornehmen können oder eine neue Auswertung unter Berücksichtigung des jetzigen Verfahrensstandes in Auftrag zu geben.

Im Anschluss stellte die Nebenklage Wilsdruffer Straße den Antrag, den Angeklagten Schulz, Festing, Wendlin, Schiefner, Kleinert, Seidel, Weiß und Knobloch den rechtlichen Hinweis gem. § 265 StPO zu erteilen, dass in dem angeklagten Fall „Overbeckstraße“ abweichend zur Anklageschrift auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Betracht kommt.

In dem Antrag wird auf über zwanzig Seiten die bisherige Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung zusammengefasst und dargelegt, dass das Beweisergebnis eine Verurteilung wegen Mordes ermöglicht.

In dem Antrag wurde ausgeführt:

Der Tatplan zielte darauf ab, große Teile des angegriffenen Gebäudes unbewohnbar zu machen. Die Gruppenmitglieder sowie Mitglieder der FKD, insbesondere der planerisch tätige Angeklagte Festing, hatten das Haus mehrfach ausgespäht und mussten dabei festgestellt haben, dass der einzige Hauseingang auf der Rückseite liegt. Ebenfalls hatten sie festgestellt, dass das Haus bewohnt war, die geplante Zerstörung von Teilen des Gebäudes zielte ja eindeutig darauf, die als politische Gegner eingeschätzten Bewohner zu vertreiben. Gerade mit dem Ziel den Schaden an einem Gebäude zu maximieren, hatte der Angeklagte Festing mit Mitgliedern der Gruppe kurz zuvor Sprengversuche durchgeführt. Es gab im Vorfeld auch einen regen Austausch mit den Teilnehmern des sogenannten Protestcamps, das nur wenige Gehminuten von der Overbeckstraße entfernt lag. Insofern ist davon auszugehen, dass über die Anzahl der damals im Haus wohnenden Personen Erkenntnisse vorlagen. Nach Angaben der Zeugen aus der Overbeckstraße wohnten zum Tatzeitpunkt ca. 15 Personen in dem Haus, anwesend waren mindestens 12 Personen.

Der Tatplan sah vor, dass zwei Gruppen sich getrennt von einander dem Haus von vorne über die Overbeckstraße und von hinten über die Flutrinne und den hinten gelegenen Garten näherten. Aufgrund der Örtlichkeiten und der Sicherheitsmaßnahmen hatten diese zwei Gruppen ab dem Zeitpunkt, an dem sie sich von einander trennten, keine Kontaktmöglichkeit mehr. Irgendein Signal, die Tat nicht wie geplant durchzuführen, war nicht verabredet und auch nicht möglich. Vielmehr sollte der Angriff an der Vorderseite das Signal für den Angriff von hinten sein. Zunächst sollte also der „Ablenkungsangriff“ von vorne beginnen, damit hinten Fenster und die Glasscheibe an der Türe eingeschlagen werden konnten, durch die dann sowohl die präparierten und mit Sprengsätzen versehenen Buttersäureflaschen, sowie weitere Sprengsätze in die Räume, also sowohl die Räume, die nach Auffassung der Angreifer möglicherweise als Wohnräume benutzt wurden, als auch in das Treppenhaus hinter der Eingangstüre, geworfen werden. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Bezeichnung als „Ablenkungsangriff“ nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass der Tatplan umfasste, dass die von vorne angreifende Gruppe Cobra 6 und Cobra 12 Sprengsätze und Steine auf die vorne gelegenen Scheiben warf. Bereits aus dieser Planung ergab sich also eine geplante Lebensgefährdung von Menschen, die in den betroffenen Räumen aufhältig waren.

Die Angreifer wussten um die besondere Lebensgefährlichkeit für Menschen, die sich in der Nähe von explodierenden Sprengsätzen der hier verwendeten Art befinden. Dies wussten sie aus eigener Erfahrung des Einsatzes, den durchgeführten und im Chat verfügbaren Videos dieser Versuche und aus Diskussionen hierüber. Sie hatten sich auch über die Lebensgefährlichkeit eines solchen Einsatzes der Sprengsätze, beispielsweise gegen ein „Fest von Linken“ auseinandergesetzt.

Den Angreifern musste auch klar sein, dass der Angriff auf die Vorderfront, der nach dem gemeinsamen Tatplan mit Steinen und Sprengsätzen durchgeführt werden sollte, dazu führen musste, dass Bewohner der nach vorne gelegenen Zimmer diese fluchtartig nach hinten verlassen würden. Indem der Angriff vorne begann, musste auch zunächst bei den Hausbewohnern der Eindruck entstehen, dass der hintere Hausteil „sicherer“ sei. Die Angreifer mussten daher mit großer Sicherheit damit rechnen, dass sich Hausbewohner nicht nur in die nach hinten gelegenen Teile des Hauses flüchten, sondern auch versuchten, das Haus zu verlassen. Es war daher naheliegend, dass Hausbewohner genau in dem Moment in die im unteren hinteren Teil des Hauses gelegenen Räume sowie das Treppenhaus flüchteten, in dem die von hinten angreifenden Personen die Sprengsätze und präparierten Buttersäureflaschen hineinwarfen. Hinzutritt, dass die Angreifer weiterhin davon ausgehen mussten, dass in den Garten fliehende Hausbewohner beim Verlassen des Hauses von Sprengkörpern getroffen werden konnten.

Selbst wenn es den Angeklagten nicht in erster Linie darauf ankam, Menschen lebensgefährlich zu verletzen, war doch bei diesem Tatplan eine solche Gefährdung der Leben der Hausbewohner notwendiger Begleitumstand der angestrebten Zerstörung der hinteren Räumlichkeiten.

Die Angeklagten und ihre Verteidiger reagierten auf den Antrag aufgeregt bis empört, so kam es beispielsweise zu Zwischenrufen des Angeklagten Knobloch. Aber auch der Angeklagte Seidel, dem ja keine Beteiligung an dem versuchten Mord gegenüber den Bewohnern der Wilsdruffer Straße vorgeworfen wird und für den ein entsprechender Hinweis eine deutlich höhere Strafe bedeuten könnte, wirkte hilflos.

Die Generalbundesanwalt teilte mit, die Sachbearbeiter hätten sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt, ob ein solcher rechtlicher Hinweis erforderlich ist. Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung seien die Indizien für einen bedingten Tötungsvorsatzes nicht eindeutig gewesen. Dies könne man inzwischen anders bewerten. Insbesondere wies der GBA darauf hin, dass der Bundesgerichtshof zuletzt bei weniger schwerwiegenden Fällen, bei denen Alkohol im Spiel war und Spontanaktionen vorlagen, eine Verurteilung wegen versuchten Mordes bejaht hatte. Insbesondere sei wichtig, dass hier ein Tatmittel eingesetzt wurde, das völlig unkontrollierbar ist. Bis zum Ende der Sommerpause, die am der kommenden Woche bis Ende Juli geplant ist, werde der GBA eine entsprechende ausführliche Stellungnahme abgeben.

Die Verteidigung wirkte bestürzt, dass er GBA dem Antrag der Nebenklage nicht entgegentrat sondern inhaltlich als bedenkenswert würdigte.

Schreibe einen Kommentar