08.08./09.08./11.08.2017

„Zu wenig Leute und zu viel zu machen“

Die vergangene Hauptverhandlungswoche widmete sich ausschließlich der Vernehmung einer Beamtin der „EG Deuben“. Die Zeugin war ursprünglich mit den Ermittlungen zum Anschlag auf den PKW Richter und den Briefkasten einer Geflüchtetenunterstützerin in Freital betraut und wechselte nach deren Einrichtung in die Ermittlungsgruppe, die sich ausschließlich mit fremdenfeindlichen und gegen Andersdenkende gerichtete Straftaten in Freital beschäftigen sollte. Entgegen des bereits vernommenen Zeugen Gruber kannte die Zeugin ihn nicht als Leiter der Ermittlungsgruppe Deuben.

Die Zeugin hatte nach dem Anschlag auf die Geflüchtetenwohnung in der Freitaler Bahnhofstraße die nunmehr Angeklagten Justin S. und Seidel als Zeugen vernommen. Die beiden Angeklagten waren in der Tatnacht als Schaulustige bei den ersten Ermittlungsmaßnahmen an der betroffenen Wohnung festgestellt worden. Die Zeugin berichtete, dass beide wenig auskunftstfreudig waren und dem Justin S. „alles aus der Nase“ gezogen werden musste. Bei später in Augenschein genommenen Chats wurde weiterhin klar, dass beide sich gegenseitig von ihren Vorladungen erzählt und auch Absprachen zum Verhalten getroffen hatten.

Nach der Hausdurchsuchung beim Angeklagten Justin S. im November 2015 habe dieser jedoch sein Aussageverhalten geändert. Die Zeugin berichtete, dass sie den Eindruck gehabt habe, dass der Angeklagte S. im Zuge der Vernehmung wohl erkannt habe, dass die Ermittlungsbehörden recht gut über die Ereignisse in Freital und Dresden und die Beteiligung der damaligen Beschuldigten Bescheid wussten. Er habe daraufhin Aussagen zu den Taten gemacht. In der Wahrnehmung der Zeugin habe er sich „alles von der Seele“ reden wollen. Die Berichte des S. über die Inbrandsetzung des REAL-Marktes seien neu gewesen.

Weiter war die Zeugin damit betraut, mehrere Speichermedien, die bei den Angeklagten beschlagnahmt worden waren, auszuwerten. Wie bereits bekannt, hat auch diese Zeugin nicht die Asservate an sich, sondern nur die in das Speichersystem des LKA eingespielten Inhalte ausgewertet. Ob jeweils gelöschte Dateien wieder hergestellt worden sind, konnte die Zeugin nicht sagen. Damit erhärtete sich der Eindruck, dass die technischen Asservate nur ungenügend geprüft worden sind, weiterhin. Ebenfalls nicht ermittelt wurden z.B. die Herkunft der Bilder auf den Festplatten die neben Pyrotechnik und Tatorten auch Sprengversuche zeigten. Es wurden beispielsweise keine Ermittlungen getätigt, wie Bilder die ausweislich des Pfadnamens aus einem WhatsApp-Chat stammten, auf einen Rechner kamen, auf dem selbst WhatsApp nicht installiert war. Auch die Daten die Aufschluss über das Erstellungsdatum von Bildern und das Gerät mit dem die Fotos angefertigt worden sind, wurden nicht ermittelt.

Wie bereits bei anderen Bildern die von den Angeklagten angefertigt oder gespeichert worden sind, zeigen die Bilder einzelne Angeklagte vermummt, mit Schlagwerkzeugen, Pyrotechnik, die zum Teil selbst zusammengebaut worden ist, und immer wieder Reichskriegsflaggen und nationalsozialistische Symbolik.

Im Laufe der Vernehmung räumte die Zeugin weiterhin ein, dass sie auf Grund der schieren Masse der gespeicherten Bilder nicht jedes einzeln angeschaut habe. „Das waren mir einfach zu viele“. Deswegen könne sie nicht ausschließen, dass verfahrensrelevante Bilder nicht aufgefallen seien.

Die Zeugin hatte auch die Auswertung der Aufnahmen der Überwachungskameras der Aral-Tankstelle aus verschiedenen Tatnächten vorgenommen und festgestellt, dass sich zumindest einige Angeklagte in diesen Nächten immer wieder an der Aral aufgehalten bzw. getroffen hatten. Dies deckt sich mit den Aussagen der Angeklagten S. und Festing, die beide berichteten, dass die gegenüber dem Polizeirevier Freital gelegene Tankstelle regelmäßig von der Gruppe der Angeklagten und weiteren Personen besucht wurde um dort Absprachen zu treffen.

Aus den durch die Zeugin ausgewerteten Telefonaten und Sprachnachrichten – die zum Teil auch durch das Gericht vorgespielt wurden – ergab sich der Eindruck, dass die Angeklagten sich immer wieder über ihre Taten und deren Geschädigten lustig machten. Aus ihrer Gewaltbereitschaft schienen sie untereinander keinen Hehl zu machen. Immer wieder hörte man hämisches Lachen, Beschimpfungen und die Darstellungen von Gewaltfantasien. Worte der Reflexion, Bedenken oder Mahnungen zur Zurückhaltung kann man in den Gesprächen nicht erkennen. Vielmehr schienen die Angeklagten die Schraube der Gewalt immer weiter zu drehen, sich zunehmend zu radikalisieren und sich auch noch gegenseitig darin zu bestärken und anzustacheln.

Im Rahmen der weiteren Vernehmung berichtete die Zeugin, dass bereits im Oktober einzelnen Angeklagte observiert oder mittels sog. „stiller SMS“ geortet worden seien. An dem Fahrzeug des Angeklagten Schulz wurde ein Peilsender befestigt, der ein lückenloses Bewegungsprofil des Fahrzeuges dokumentierte. Ab Ende Oktober 2015 sei die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs erfolgt. Dabei habe man von Seiten der Ermittlungsbehörden versucht, „live“ mitzuhören. Da man Ende Oktober davon ausgegangen sei, dass das nächste Anschlagsziel wieder der PKW des Stadtrats Richter sein würde, sei die Tiefgarage observiert worden. Trotz dieser umfänglichen Maßnahmen habe man auf Grund der Fehleinschätzung, das Fahrzeug sei das nächste Ziel der Gruppe, sei der Anschlag auf die Geflüchtetenwohnung in der Wilsdruffer Straße nicht vorhersehbar gewesen.

Die Zeugin wurde immer wieder vom Gericht und den verschiedenen Prozessbeteiligten auf augenscheinliche Ermittlungsfehler und Unge–nauigkeiten angesprochen. Dabei betonte die Zeugin, dass die Ermittlungs–gruppe für die schiere Masse an zu bearbeitenden Vorgängen in Freital personelle völlig unterbesetzt war. Daher konnten die Überwachungs–maßnahmen auch nicht so zeitnah ausgewertet werden, wie es notwendig erschien. Das lässt nur den Schluss zu, dass die Vorgänge in Freital im Jahr 2015 auch von der Leitung der Ermittlungsbehörden nicht ernst genommen worden sind. Da auch diese Zeugin berichtete, dass sie davon ausging, dass die Taten von einer organisierten rechten Struktur verübt worden sind, diese Einschätzung von der zuständigen (General-)Staatsanwaltschaft aber konsequent ignoriert und negiert wurde, bestärkt sich das Bild der bisherigen Beweisaufnahme. Die Anklagebehörden in Dresden verschlossen die Augen vor dem offensichtlichen Bestehen von gut vernetzen rechten Strukturen, die zur Durchsetzung einer politischen Agenda Straftaten begingen, deren Auswirkungen auf die Betroffenen der Taten immer tiefgreifender wurden. Die sächsische „Immunität“ gegen Rechtsextremismus, wie sie der einstige Ministerpräsident Biedenkopf den Sachsen attestierten, findet sich 2015 offensichtlich nur noch im Erkennen desselben bei der (General)-Staatsanwaltschaft Dresden.

 

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